Physiknobelpreis 1920: Charles Édouard Guillaume

Physiknobelpreis 1920: Charles Édouard Guillaume
Physiknobelpreis 1920: Charles Édouard Guillaume
 
Der Franzose erhielt den Nobelpreis für die Entdeckung der Anomalien bei Nickelstahllegierungen und für seine Präzisionsmessungen.
 
 
Charles Édouard Guillaume, * Fleurier (Kanton Neuchâtel) 15. 2. 1861, ✝ Sèvres (Frankreich) 13. 6. 1938; 1878 Studienbeginn im Fach Physik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, 1883 Promotion, 1883 Bureau International des Poids et Mesures in Sèvres, 1915-36 dort Direktor.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Unter den frühen Nobelpreisträgern der Physik hat sich Charles Édouard Guillaume in der Öffentlichkeit und Presse wenig profilieren können, obgleich am Nutzen seiner Beiträge zu Wissenschaft und Technik kein Zweifel besteht. Die Präzision vieler Längen- und Zeitmessungen wäre vor dem Einsatz von Laserstrahlen und elektronischer Zeitmessung (Quarzuhren) ohne die Guillaume'schen Legierungen Invar und Elinvar nicht möglich gewesen.
 
Das Internationale Institut für Gewichte und Maße in Sèvres, in dem Guillaume seit 1883 arbeitete, machte sich zur Aufgabe, die Normierung von Meter und Kilogramm weltweit zu sichern. Dazu wurden 1889 das aus dem Jahr 1799 stammende Ur-Meter und Ur-Kilogramm aus Platin durch so genannte »Internationale Protoypen« ersetzt. Diese Eichnormen wurden aus einer Platin-Iridium-Legierung hergestellt, die den Vorzug der geringeren Wärmeausdehnung hatten. Gleichzeitig wurden Kopien zur Verteilung an verschiedene Länder gefertigt, die als »Nationale Prototypen« bezeichnet wurden. Ihr Ersatz durch die weniger kostspieligen Nickelstähle ist den Untersuchungen von Guillaume zu verdanken. Die erste Aufgabe, mit der er betraut wurde, bestand jedoch in der Untersuchung der Fehlerquellen in Thermometern. Die eher zufällige Entdeckung der minimalen Wärmeausdehnung in Eisen-Nickel-Legierungen geht auf Anregungen des englischen Professors der Elektrotechnik John Hopkinson zurück, der durch seine grundlegenden Untersuchungen zur Theorie der Dynamomaschinen bekannt war und sich dabei auch für die Eigenschaften der zum Magnetfluss verwendeten Metalle interessierte.
 
 Invar und Elinvar
 
Die Verwendung der Eisen-Nickel-Legierungen in der Messkunde stößt auf zwei Schwierigkeiten: Einmal hängt die Wärmeausdehnung empfindlich vom Nickelgehalt ab und zum anderen besitzen Eisen-Nickel-Legierungen im fraglichen Bereich der Zusammensetzung eine so genannte Instabilität, die ihre Ursache in der Umwandlung von Eisen in eine andere Kristallform (Gamma) bei höheren Temperaturen hat. Diese Umwandlung besteht auch bei Hinzulegieren von Nickel weiter und verursacht bei Temperaturanstieg und -senkung nichtumkehrbare Eigenschaftsänderungen, die aber messtechnisch nicht zulässig sind. Die Überwindung dieser Schwierigkeiten durch den Einsatz einer gezielten Wärmebehandlung ist das Hauptverdienst Guillaumes. Er hat 1895 mit der Untersuchung der Eisen-Nickel-Legierungen begonnen und in einer Mitteilung aus dem Jahr 1897 die Legierungszusammensetzung eingegrenzt, die er später als Invar (von invariabel) bezeichnete. Seine Beobachtungen kamen insofern unerwartet, als sie der so genannten »Mischungsregel« widersprachen, wonach die erwarteten Eigenschaften von Eisen-Nickel-Gemischen zwischen denen des reinen Eisens und Nickels liegen sollten. Außerdem zeigte sich, dass auch die Elastizität nur wenig temperaturabhängig ist. Durch Zugabe von Chrom ist der von Guillaume als Elinvar (36 Prozent Nickel, 12 Prozent Chrom) bezeichnete Werkstoff entstanden, bei dem der Elastizitätsmodul sich in einem weiten Temperaturbereich nicht ändert.
 
 
Guillaume war hauptsächlich Experimentalphysiker, hat sich aber auch Gedanken über das anomale Verhalten seiner Werkstoffe gemacht. Dabei wurde er von der Kenntnis der Schrumpfung beim Übergang der Eisenlegierung in den Gamma-Zustand geleitet, und diese sollte der normalen Wärmeausdehnung entgegenwirken. Da Invar magnetisch ist, stellte sich die einfachste Erklärung dieses Invareffekts als Überlagerung der normalen Wärmeausdehnung und der Volumenabnahme dar, die bedingt ist durch das Nachlassen der Magnetisierung mit zunehmender Temperatur. Obwohl der Vorgang der Magnetostriktion (Änderung der Größe des Metalls beim Magnetisieren) im Prinzip schon seit 1842 bekannt war, hat sich diese Deutung des Invareffekts erst in den 1930er-Jahren durchgesetzt.
 
 Praktische Anwendungen
 
Die früheste Anwendung fand die neue Legierung bei Längenmessungen mit Eichstäben von vier Meter Länge aus Invar in der Vermessungskunde. Ein wesentlicher Fortschritt resultierte aus der Möglichkeit, Invar zu Drähten zu ziehen. In Drahtform wurden Längen von 24 Metern auf Trommeln aufgerollt und erstmals bei der schwedisch-russischen Expedition auf Spitzbergen im Jahr 1899 eingesetzt. Im Sommer 1912 hat man die Messung der thermischen Ausdehnung in senkrechter Richtung am Eiffelturm in Paris unternommen. Dazu wurde ein Draht aus Invar in der Erde fest verankert und oben am Turm mit einem Hebel verbunden, der einen Schreiber betätigte. Die Korrelation mit der gleichzeitig registrierten Temperatur trat so klar heraus, dass der Einfluss der Temperaturschwankungen durch Sonneneinstrahlung eindeutig nachgewiesen wurde oder, in den Worten Guillaumes, »der Eiffelturm die Rolle eines Riesenthermometers hoher Empfindlichkeit spielt«.
 
Eine wichtige Anwendung, bei der ebenfalls das teure Platin ersetzt werden konnte, findet man in den Glas-Metall-Verschmelzungen zur Stromdurchführung bei Glühlampen. Für die Einschmelzdrähte kann man durch Ändern der Legierungszusammensetzung die Ausdehnungskoeffizienten so wählen, dass sie der entsprechenden Glassorte angepasst sind. In der Uhrentechnik hat man den Einfluss der Temperaturschwankungen durch Verwendung von Invar im Pendel ausschalten können. Elinvar hat seinen größten Nutzen dort gefunden, wo Frequenzen durch elastische Resonanzschwingungen bestimmt werden, und das ist nirgends offensichtlicher als in der Unruhe einer Federuhr. Dazu gehören die als Chronometer bezeichneten tragbaren Uhren, die gegen Gangänderungen besonders wenig empfindlich sind und die seit dem 18. Jahrhundert als Navigationshilfen zur Bestimmung der geographischen Länge eingesetzt wurden. Sie haben besonders ausgeklügelte »Kompensationsunruhen« zur Minderung der Temperaturstörungen besessen. Durch Einsatz von Nickelstahl im Schwungrad und Elinvar in der Spiralfeder konnten Chronometer mit nie gekannter Präzision hergestellt werden. Für einfachere Uhren führte man Spiralfedern aus Nickelstahl ein, deren temperaturabhängige Elastizität fast genau die temperaturbedingten Änderungen der Trägheit des Schwungrads aufheben.
 
H. Stadelmaier

Universal-Lexikon. 2012.

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